Eis

Wir eröffnen die diesjährige Eissaison mit einem großen Eisbecher in der Eisdiele unseres Vertrauens. Da auch die anderen auf diese Idee kommen, sitzen wir ein wenig länger an unserem wackeligen Tischchen. Da meine zwei Miteisgenossen sich in eine heiße Diskussion vertiefen, was nun leckerer ist, die geforene Sahne unter dem Spaghettieis oder die hartgewordene Soße oben drauf, habe ich Zeit mich in das nachbarschaftliche Gespräch hineinzuhören, rein zufällig natürlich, ganz ohne Absicht.

Ein junges Paar sitzt neben uns. Sie starrt in ihr Handy, ich kann ein hochkreatives Spiel darauf entdecken, welchem sie mit manikürierten langen Fingernägeln ihre volle Aufmerksamkeit widmet. Er sitzt gegenüber und kuckt. Und bittet offensichtlich um eine Unterhaltung.  Er sitzt mir leider abgewandt, ich verstehe ihn nicht deutlich. Aber ihre Reaktion kann ich nicht nur hören sondern auch sehen: Keine. Zumindest blickt sie nicht vom Handy auf, als sie sagt: Über was möchtest du dich denn unterhalten. Er scheint etwas zu murmeln. Sie (Blick auf dem Handydisplay): Ja, über was willst du reden? Wenn du nicht weißt, über was du reden möchstest, über was sollen wir uns dann unterhalten. Ihr Ton wird genervter und lauter. Du kannst doch nicht nach einer Unterhaltung fragen, wenn du nicht weißt, über was du reden willst.

Selbst ich, unbeteiligt am Nebentisch, rutsche nervös auf meinem Stuhl, welch Druck. Oh Gott, über was kann man reden, mir fällt nichts ein, WAS kann man besprechen? Ein Gespräch über ahhhhh die Bibel? Haustiere? Weltfrieden? Schweiß steht mir auf der Stirn. Er murmelt Unverständliches. Ich möchte hinübergreifen und ihm über den Kopf streicheln und ihm sagen, dass alles gut wird, doch leider kommt in diesem Moment unser Eis und meine Aufmerksamkeit widmet sich den wirklich wichtigen Dingen des Lebens.

Bis uns allen der Löffel aus der Hand springt, weil sie nebenan plötzlich lautest schreit: Das ist jetzt nicht dein Scheißernst!!!

Oh nein, was hat er getan? Ihr das Eis ins Gesicht geschüttet, den Tisch umgestoßen? Die gemeinsame Wohnung gekündigt, die gemeinsame Katze getötet, das gemeinsame Leben endlich beendet? Ich erfahre es umgehend, da sie weiter laut schimpft: Jetzt konnte ich gerade noch das (gerade servierte) Eis fotografieren, und bevor ich es posten kann, ist der Akku aus. Ich dreh total durch, Alda!!!

Sie essen das Eis analog zu Ende und gehen dann Hand in Hand davon. Und ich denke mir, ja, möchte ihm hinterher rufen: Lauf, lauf, schnell, weit weg!!! Töte die gemeinsame Wohnung, kündige die gemeinsame Katze, Lauf!!!

Eraber läuft beseelt neben ihr her. So eine wunderschöne Frau an seiner Seite.